Darmstädter Künstlerkolonie

Als Gegenentwurf zum starren Akademiebetrieb, der im ausgehenden 19. Jahrhundert üblich war, gründete Großherzog Ernst Ludwig von Hessen 1899 die Darmstädter Künstlerkolonie. Auf einer Reise nach England hatte Ernst Ludwig die moderne Kunst der Arts and Crafts-Bewegung kennengelernt, die ihn auf die Idee brachte, dass die Ansiedelung und Förderung von Künstlern und modernem Kunstgewerbe auch einen wirtschaftlichen Aufschwung mit sich bringen könnte. Er berief sieben Künstler, denen er den ehemaligen großherzoglichen Park auf der Mathildenhöhe zur Verfügung stellte, um dort eine Künstlerkolonie zu gründen. Peter Behrens, Rudolf Bosselt, Paul Bürck, Hans Christiansen, Ludwig Habich, Patriz Huber und allen voran Joseph Maria Olbrich.

Joseph Maria Olbrich war zum Zeitpunkt seiner Berufung nach Darmstadt bereits Mitglied der Wiener Sezession. Er war es auch, der das Wahrzeichen der Kolonie, den so genannten Hochzeitsturm, der anlässlich der Hochzeit des Großherzogs gestiftet worden war, entwarf. Außerdem hatte er die Gesamtleitung für die Ausgestaltung der Mathildenhöhe: nach seinen Plänen entstanden sieben Villen mit Ateliers und ein großes Ausstellungsgebäude für Wechselausstellungen. Die achte Villa entwarf Peter Behrens. Die Künstler übernahmen sowohl die Planung als auch die komplette Innengestaltung der Gebäude, in denen alle Formen des künstlerischen Ausdrucks vertreten sein sollten: Architektur, Bildhauerei, Kunsthandwerk, Design und Malerei.

Die Künstlerhäuser, die innerhalb von 18 Monaten auf der Mathildenhöhe entstanden, wurden mit Recht als Gesamtkunstwerk bezeichnet. Architektur und Design wirkten auf die damaligen Besucher ungewöhnlich und spektakulär. Alles bis hin zu Lampen, Bucheinbänden und Besteck war im neuen Jugendstil entworfen. Aus wirtschaftlicher Sicht war bereits die erste Ausstellung auf der Mathildenhöhe unter dem Titel »Ein Dokument deutscher Kunst« ein kompletter Misserfolg, das Ansehen der Mathildenhöhe allerdings stieg mit jeder der großen Expositionen in den Jahren 1904, 1908 und 1914 und machte Darmstadt zu einem Zentrum des europäischen Jugendstils. Der Verleger Alexander Koch, der mit seinen Publikationen »Deutsche Tapetenzeitung«, »Innendekoration« und vor allem mit dem Journal »Deutsche Kunst und Dekoration« großen Einfluss auf den Zeitgeschmack hatte, organisierte weitere Ausstellungen für die Künstlerkolonie.

Intern verlief die Geschichte der Künstlerkolonie nicht so geradlinig. Zwischen 1902 und 1903 verließen fünf der ursprünglich berufenen Künstler die Kolonie wegen Rivalitäten und zunehmendem Missmut über die Sonderstellung Olbrichs. Ernst Ludwig berief Nachfolger und erreichte es, dass in den Jahren bis 1914 nicht nur 23 Jugendstilkünstler nach Darmstadt kamen, sondern er gründete auch verschiedene Manufakturen, die die Entwürfe der Künstler verwirklichten. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs bedeutete das vorzeitige Ende der vierten und letzten Ausstellung der Künstlerkolonie, die sich 1914 auflöste.

Seit 1990 befindet sich im Ernst-Ludwig-Haus, dem großen zentralen Ausstellungsgebäude auf der Mathildenhöhe, das Museum Künstlerkolonie, das anhand zahlreicher Exponate die Geschichte der Darmstädter Künstlerkolonie nachzeichnet.